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Vor Ort: Wo der Korn zu Whisky wird...

Heute gibt es keinen Artikel von mir, sondern einen Gastbeitrag von Ralf Bröker. Seinen spannenden, kleinen aber absolut feinen Weg mit Whisky & Lyrik umzugehen findet ihr hier. Unbedingt mal reinschauen!
Ralf und mich verbindet schon eine lange Zeit eine (Whisky-)Freundschaft und sein Enthusiasmus geht so weit, dass er einen Destillierkurs bei der Sasse Feinbrennerei mitgemacht hat. Das Ergebnis seht Ihr heute in Textform und als kurzes Impressionsvideo!


Wir befinden uns im Jahre 2018. Ganz Deutschland trinkt Whisky und Gin ... Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Münsterländern bevölkertes Dorf hört nicht auf, den internationalen Spirituosen Widerstand zu leisten. Mit Lagerkorn und Wacholder.

Seit 8 Uhr ist die Gruppe unterwegs in der Sasse Feinbrennerei. Mittlerweile zwei Stunden dauert die Druckbetankung mit Geräuschen, Gerüchen und Geschichten. „Boah, watt viele Infos“, kratzt sich ein Endvierziger am Kopf. Brennmeister Frank Wigger bleibt locker: „Nun, ihr seid ja nicht zu einer Führung hier.“

Stimmt. „Be your own distiller“ heißt das Programm, das an jedem ersten Freitag in die theoretischen und praktischen Teile des Kornbrennens einführt. Und gleich zu Beginn die immer wieder diskutierten Frage klären will: Was ist der Unterschied zwischen Korn und Whisky?

 

Frank Wiggers „Ein Korn, der mindestens 40 Prozent hat und mindestens drei Jahre fassgelagert wurde, ist ein Whisky“ läuft den ganzen Tag mit. Ob im Mahlraum oder beim Maischekochen, vor dem Rohbrand oder während des Feinbrands, im Refugium mit den Hunderten Fässsern, am Cuvee-Tisch, in der Abfüllung: Frank Wigger kämpft lässig und mit Anekdoten für den Lagerkorn.

Klar, seit 1996 hat Sasse mit seinen 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Umkreis von 80 Kilometern den Lagerkorn zum Kultgetränk gemacht. Bloß nicht kalt zu trinken, mit knapp unter 20 Euro für einen halben Liter auch preislich weit jenseits der Discounter-Korn-Produkte. Aber auf Fachmessen geht immer noch ein großer Teil der Besucher lässig am Sasse-Stand vorbei: „Korn? Trinke ich nicht.“

So mancher lässt sich dann auf einen Test ein, wenn er hört, dass der mehrfach ausgezeichnete, barriquegereifte Lagerkorn ein Blend aus mindestens vier Jahre alten Grain und Malt Whiskys ist. 3.000 bis 5.000 Liter ergeben eine „Marriage“. Ohne Färbung und Kühlfiltrierung kommt der Lagerkorn in die schlanke und nummerierte Flasche. Oder in die gastronomietypische Glasblase. Letztere stammt aus der Anfangszeit des Lagerkorns, als heimische Wirte ihn immer wieder ins geschmackstötende Eisfach steckten. Dafür ist das Fünf-Liter-Gebinde nämlich absichtlich zu groß. 

Der doppelt so teure Bruder des Lagerkorns, der Cigar Special, entsteht aus einer geringeren, dafür noch hochwertigeren Grundmenge. Er wurde bei der „International Wine and Spirits Competition 2010“ in London als bester Whisky Kontinentaleuropas ausgezeichnet. Bei den World-Spirits Award 2016 gab es „Doppelgold“.

 

Aber Sasse setzt nicht auf PR durch Medaillenregen, könnte mehr Nachfrage als Folge eines intensiveren Marketings mit dem Inhalt der aktuell 1.000 Fässer (fast alle Ex-Cognac aus Frankreich, manche fürs Finishing Ex-Bordeaux, Ex-Bourbon, German Oak) auch gar nicht bedienen. So wächst die Manufaktur am Schöppinger Berg langsam weiter und verzichtet auf Single-Cask-Abfüllungen („wir brauchen jedes Fass“). Kooperiert mit mutigen Innovatoren (wie beim Rye 093 des Freimeisterkollektivs) und bringt limitierte Spezialabfüllungen wie den Lagerkorn 10 heraus. 

Die Färbung bleibt hell. Der Test sagt also: kein böses Methanol. Frank Wigger nimmt etwas von dem Frischgebrannten, gibt die doppelte Menge Wasser hinzu. „Eiszeitwasser“, schmunzelt er. Dann probieren alle. „Das ist Korn“, sagt Wigger ...  

... und wiederholt die Verdünnung um 15.30 Uhr noch einmal. Allerdings mit dem Inhalt eines Fasses, den ein „Be your own distiller“-Teilnehmer gezogen hat. „Das ist jetzt ein Lagerkorn Bordeaux Double Wood Finish“, erklärt der Brennmeister: „Ein toller Korn. Und natürlich ein richtig guter Whisky.“

 

Nachtrag

 

450 Kornbrennereien gab es in den 1970er-Jahren in NRW. Dann kam die Liberalisierung des Marktes. Heute sind es nur noch vier. Warum der Nikolaus vor mehr als 20 Jahren das Lagerkorn-Wunder ausgelöst hat, wie Pioniergeist das 300 Jahre alte Familienunternehmen rettete und warum Sasse lange Zeit in der Branche „der Spinner aus dem Münsterland“ war findet ihr unter diesem Link.


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